Social Media: Wirst du süchtig, steigt der Umsatz

Irgendwo im Netz schwirren Videos und Aussagen von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, herum, in denen er von seiner Vision redet, mit seinem sozialen Netzwerk Menschen zu verbinden. Es ist schwer zu glauben, dass das jemals tatsächlich sein Ziel war. Jedenfalls, wenn man der Erzählung glaubt, dass er schon zu Beginn seiner Karriere Menschen, die ihm einfach so ihre Daten überlassen als Vollidioten (eine durchaus freundliche Übersetzung des von ihm verwendeten „Dumbfucks“) bezeichnet hat.

So oder so, Facebook (und andere soziale Netzwerke) zielen auf Gewinn ab. Auf viel Gewinn.

Du bist das Produkt, nicht die Kundschaft

Wer es noch nicht weiß: Wir Benutzer*innen von sozialen Netzwerken sind nicht die Kund*innen. Wir, bzw. unsere Zeit und Aufmerksamkeit sind das Produkt. Je mehr Zeit wir im sozialen Netzwerk verbringen, umso mehr Umsatz bringen wir. Darum sind Facebook&Co darum bemüht, uns dazu zu bringen, möglichst viel Zeit im Netzwerk zu verbringen. Idealfall für das Netzwerk ist demnach, wenn wir süchtig sind und viel mehr Zeit dort verbringen, als es noch irgendwie gesund für uns selbst oder die Gesellschaft ist.

Ein ungleicher Kampf: Mit KI in die Abhängigkeit

Mit enormen Rechner-Kapazitäten und der Unterstützung von künstlicher Intelligenz unterzieht uns Facebook kontinuierlichen A/B-Tests, bei denen herausgefunden und optimiert wird, welche Inhalte uns dazu bringen, noch mehr Zeit im Netzwerk zu verbringen.

Ausgewogenheit, Wahrheitsgehalt, Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit und unsere Gesellschaft sind für das Netzwerk dabei übrigens keine Kriterien. Die Folgen neben Gewinnzuwächsen für die sozialen Netzwerke: Individuelle gesundheitliche und psychische Probleme, vor allem aber massive gesellschaftliche Probleme.

Soziale Netzwerke, aber auch Video-Plattformen und Suchmaschinen liefern das, was uns gefällt, was uns in unserer Meinung bestätigt, was uns emotionalisiert. Das ist nicht unbedingt das, was uns weiser, informierter oder umsichtiger macht. Es muss auch nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen, oft (langsam beginnen die Netzwerke mit Maßnahmen gegen Desinformation) standen himmelschreiender Unsinn, von Flacherde bis mutmaßlich geundheitsgefährdenden medizinischen Falschinformationen gleichwertig mit vielfach betätigtem und überprüftem Wissen in Suchergebnissen, im Newsfeed oder in den Video-Empfehlungen.

Reale Auswirkungen von virtuellem Ungleichgewicht

Die Auswirkungen sind nicht nur in einem zunehmend aggressiven Tonfall auf sozialen Netzwerken spürbar, sie sind auch im realen Leben angekommen: Wahlen werden manipuliert, von Fehlinformationen und Verschwörungstheorien aufgepeitschte Menschen attackieren in für sie realer Verzweiflung vermeintliche oder echte 5G-Masten für ihr vermeintliches Verbreiten von Krankheiten, Menschen mit Diabetes-Chips zur Blutzuckermessung werden für ihre vermeintliche Kooperation mit dunklen Mächten attackiert, unter „Pizzagate“ wurde der Angriff auf eine Pizzeria bekannt, in der Verschwörungstheoretiker zu wissen glaubten, dass Mitlgieder “der Elite” Kinder gefangen hielten, um aus ihnen Verjüngungs-Mittel zu gewinnen.

Rassismus und Frauenhass schlagen sich in realen Angriffen nieder, seit Jahren steigt in Österreich die Zahl der Frauenmorde in erschütterndem Ausmaß. Die Stimmen von Expert*innen im Kampf gegen Corona gehen unter im Getöse von selbsternannten Seuchenprofis. Narzissten, die sich „nichts vorschreiben lassen“ von der „Corona-Diktatur“ verhindern ein koordiniertes, systematisches Vorgehen gegen die Pandemie ohne allzu heftige Einschränkungen für Wirtschaft und Menschen.

Wir Menschen sind der enormen Rechnerleistung der sozialen Netzwerke übrigens weit unterlegen. Hat sich die durchschnittliche Rechnerleistung in den letzten Jahren bis Jahrzehnten exponentiell in Höhen entwickelt, die noch in den 1990er-Jahren denkunmöglich waren, entwickelt sich unser Gehirn seit Jahrtausenden im Schneckentempo.

Ausweg aus dem Dilemma: Eigenverantwortung und gesetzliche Regelung

Allein mit eigenverantwortlichem Handeln werden wir diesem Dilemma nicht entkommen. Was wir selbst tun können und sollen:

  • Uns informieren über Funktionsweisen von sozialen Netzwerken
  • Bewusstsein schaffen für unseren Confirmation Bias
  • Datenschutz-Infos, usw. lesen, nicht gleichmal auf OK drücken
  • Datenschutz-Einstellungen am Smartphone überprüfen und anpassen
  • Datenschutz-Einstellungen bei Netzwerken und in Apps regelmäßig überprüfen
  • Personalisierte Werbung wo möglich unterbinden
  • Regelmäßig Cookies löschen
  • Smartphone-Apps nur Zugriff auf jene Informationen zu erlauben, die unbedingt notwendig sind
  • Digital Detox: Einfach mal Smartphone und Notebook für ein paar Tage oder wenigstens Stunden nicht benutzen.

Was vermutlich noch wichtiger ist: Der Ruf nach gesetzlichen Regelungen sollte gehört werden. Einige wichtige Schritte wurden schon gesetzt oder sind auf dem Weg:

  • Die Datenschutz-Grundverordnung zielt auf Datenhandel (und damit Manipulations-Möglichkeit) im großen Stil ab
  • Wer politische Werbung auf sozialen Netzwerken finanziert, muss offengelegt sein
  • Eindeutige Falsch-Nachrichten werden gelöscht
  • Eindeutig rassistische Nachrichten werden gelöscht
  • Ein enormer Schritt wäre die Zerschlagung von Monopolen, bzw. monopolartigen Strukturen.

Die Initiative Netpeace, ein Spin-Off von Greenpeace, hat eine Reihe von Forderungen zusammengestellt, unter anderem:

  • Verpflichtende Transparenz bzgl. der Inhaltskontrolle in sozialen Medien
  • Widerspruchsrecht für Betroffene bei Löschungen durch die Plattform
  • Öffnung der Plattform-Daten für die unabhängige Wissenschaft
  • Möglichkeit eines ungefilterten News-Feeds
  • Lücken im Strafrecht schließen
  • Aufstockung der Staatsanwaltschaften für digitale Tatbestände
  • Bessere Unterstützung der Opfer von Hass im Netz und Präventions-Maßnahmen für Täter*nnen
  • Bewusstseins-Bildung in Schulen und in der Jugendarbeit
  • Wettbewerbs- und Kartellrecht für globale Konzerne stärken
  • Mehr Gerechtigkeit bei der Unternehmens-Besteuerung
  • Europäische Digitalstrategie
  • Absicherung der Netz-Neutralität
  • Stärkung des Datenschutzes
  • Maßnahmen zur Verlängerung der Lebensdauer und zur Erhöhung der Sicherheit von Software- und Hardware-Produkten.

Übrigens: Quasi alle Leute, die bei großen sozialen Netzwerken arbeiten, verbieten ihren Kindern deren Nutzung. Zu schädlich.

Foto: Ade M. Campbell, Lizenz: CC0 1.0 Universal (CC0 1.0) Public Domain Dedication


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir verwenden Cookies und Ähnliches. Alle Infos zum Datenschutz auf dieser Seite und wie du Cookies, bzw. Goolge-Analytics deaktivieren kannst, erfährst du hier: https://www.silja.at/de_DE/datenschutz/ Wenn du die Seite weiter verwendest, stimmst du der Verwendung der angeführten Instrumente zu. Weitere Infos

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen