Symposion „Neue Formen des Politischen“ – Aktivismus zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Neue Formen des Politischen - Symposion 2014Eigentlich möchte man ja verzagen. Unendlich groß waren die Hoffnungen, die man ins Internet gesteckt

hatte, als es mit der Kommerzialisierung von einem militärischen Tool zu einem Kommunikationsmedium für die Massen wurde. Der Traum von Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit schien Wirklichkeit zu werden.

20 Jahre später: Katerstimmung. Überwachung, Machtkämpfe, ultimative Kommerzialisierung, die Netzneutralität in akuter Gefahr. Nebenbei die verzweifelte Hoffnung, dass das Internet doch noch als Instrument der Basisdemokratie taugen könnte.

Das Symposion „Neue Formen des Politischen“ am 9. und 10. Mai 2014 hat sich der kolossalen Aufgabe gestellt, Mittel und Plattformen des Politischen kritisch zu untersuchen. Vorträge, Diskussionen und Workshops haben die unterschiedlichsten Aspekte „neuer Politik“ kultur- und medientheoretisch sowie politik- und medienethisch untersucht.

Inhalte des Symposions

Zur Einstimmung hat Kultur- und Medientheoretiker, Wissenschaftsforscher, Informationswissenschaftler und Erforscher wissenschaftlichen Fehlverhaltens, Univ.-Prof. Gerhard Fröhlich über klassische, alternative und „neue Politik“ referiert.

Oberkommissar Carsten Müller
Wirtschaftskriminologe Oberkommissar Carsten Müller referiert über Anonymous

Für Optimismus sorgte der Vortrag von Andrea Ghoneim von der Abteilung für interaktive Medien an der Donau-Uni Krems. Sie hat aufgeklärt über Klick-tivismus, Campaigning und politische Partizipation im Web 2.0 und dem damit einhergehenden Strukturwandel der Öffentlichkeit. Wirtschaftskriminologe Oberkommissar Carsten Müller hat über Anonymous referiert. Conclusio: Großteils legal und gut, dass es sie gibt.

Lobbying in Brüssel, Anti-ACTA und Bourdieu für Dummies

Ich selbst habe, nach einem Exkurs in die Tiefen des Lobbyismus in Brüssel, über den Online-Aktivismus im Rahmen der Anti-ACTA-Proteste erzählt. Nicht beantworten konnte ich dabei die Frage, wie weit diese Proteste als Exempel für erfolgreichen Online-Aktivismus taugen.

Nachdem „neue Formen des Politischen“ eine wissenschaftliche Veranstaltung war, habe ich mich dem „enfant terrible der Soziologie“, Pierre Bourdieu gewidmet. Inhalt des Referats: sein Konzept des politischen Feldes und dessen Interaktionen mit dem medialen Feldern. Das Referat war gleichzeitig ein Bourdieu-Crashkurs. Dieser schien recht gut angekommen zu sein, die Resonanz war jedenfalls durchwegs positiv, an der Grenze zur Begeisterung. Immerhin erhielt das werte Publikum in einer guten halben Stunde eine kompakte Zusammenfassung der wichtigsten Ideen des doch recht umfassenden Werkes des großen französischen Soziologen, Querdenkers und Intellektuellen. Und das ohne sich mit Sätzen wie wie diesem quälen zu müssen:

„Unter dem Aspekt der grundlegenden Bestimmungsfaktoren der materiellen Existenzbedingungen und der von ihnen erzwungenen Konditionierungen so homogene Klassen wie möglich zu konstruieren – wie wir es hier tun –, heißt folglich ebenso bei der Konstruktion dieser Klasse selbst wie in der Interpretation der klassenspezifischen Verteilung der Merkmale und Praktiken bewusst dem Netz sekundärer Merkmale Rechnung tragen, mit dem man bei jedem Rückgriff auf Klassen, deren Konstruktionen auf einem einzigen Kriterium – und sei es auch einem so relevanten wie dem Beruf – basiert, mehr oder minder unwillkürlich immer zu tun hat; es heißt außerdem die Ursache der objektiven – inkorporierten oder in Unterscheidungsmerkmalen objektivierten – Spaltungen erfassen, auf deren Grundlage die Akteure mit größter Wahrscheinlichkeit in ihrer alltäglichen Praxis sich real ebenso voneinander trennen wie eine Gruppe bilden und zugleich durch und für individuelle wie kollektive politisch Aktionen sich mobilisieren oder mobilisiert werden (in Abhängigkeit natürlich von der an eine spezifischen Geschichte gebundenen spezifischen Logik der mobilisierenden Organisationen).“ (Pierre Bourdieu: die feinen Unterschiede. S. 182-183).

Idealerweise kann das Publikum nach Genuss meines Vortrages jetzt unter der Zuhilfenahme von Vokabular wie „Feld“, „Habitus“, „Kapital“, „Machtkampf“, „Autonomie“ und „Reproduktion des Feldes“ die Welt um uns ein bisschen besser verstehen und erklären. Das allein war ja schon ein guter Grund, beim Symposion dabeizusein.

Too BIG to tell – ein Film versucht, die Finanzmaschine zu erklären

Ein weiteres Highlight der zweitägigen Veranstaltung bot die Filmemacherin, Schriftstellerin und Regisseurin Johanna Tschautscher, die ihren Film „Too BIG to tell“ vorgestellt und über sein Entstehen berichtet hat. Ein großartiger, schockierender Film, der sich Fragen annähert wie: Wie entsteht Geld? Wie entstehen Finanzgesetze? Und wer profitiert davon?

„Neue Formen des Politischen“ – ein umfassendes Thema, das nach einem zweitägigen Symposion mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Die aktuellen Machtstrukturen verleiten zu einem gewissen Kulturpessimismus, dem ich mich hier nicht gänzlich hingeben will. Also dann: Die Hoffnung lebt – Fröhliches Klicken und Online-Petitionen-Unterschreiben. Hilfts nicht, schadets auch nicht, oder?

www.kulturinstitut.jku.at/symposion2014.html


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